26.10.2018: Sie streiten. Sie wüten. Sie protestieren. Die hrvati – die Kroaten – haben derzeit vor allem EIN Thema: die mirovina, gesprochen mit Betonung auf dem O. Die Rente.
Deutschlands Lieblingsthema!
Nein, falsch: Unser aller größtes Thema – jedenfalls überall dort, wo die Alterspyramide der Bevölkerung so aussieht, dass die Alten immer mehr und die Jungen immer weniger werden.
In Kroatien geht es konkret um eine Reform des Renteneintrittsalters. Also: Ab wann darf man in Rente gehen? Bislang “durfte” man in Hrvatska als Mann mit 65, als Frau mit 62. In Zukunft, ab 2033, “darf” man erst ab 67 Jahren (Mann wie Frau) Rente beziehen. In Deutschland ist längst klar, dass in Zukunft bis zum Alter von 67 Jahren gearbeitet wird. “Luxusprobleme!”, rufen deshalb nicht wenige Deutsche, wenn sie die aktuelle kroatische Diskussion verfolgen.
Ist das ein “Luxusproblem”? Eher nicht. Zwar darf man dem kroatischen Premierminister Andrej Plenkovic die nackten – und harten – Zahlen glauben:
- Auf 1.532.633 Erwerbstätige, also arbeitende, beschäftigte Menschen, kommen derzeit 1.187.509 Rentner
- Das Rentensystem in Kroatien hat aktuell ein Defizit von 17 Milliarden Kuna – 2,3 Milliarden Euro
- Wird das Rentenalter – schrittweise – hochgesetzt, dann erhofft sich die Regierung davon Einnahmen von elf Milliarden Kuna – 1,5 Milliarden Euro.
Es ist, wie es ist (überall): Die Rente zahlen die, die Geld verdienen. Und wenn immer mehr Rente für immer mehr Rentner gebraucht wird, dann müssen die Verdienenden länger arbeiten, um länger für Rente einzuzahlen, die dann an mehr Rentner ausgezahlt werden kann. So ist das. Oder?
In Kroatien sprechen wir momentan von einer gezahlten Durchschnittsrente von 2.000 Kuna. Das sind rund 300 Euro. Das ist – seeehr wenig.
Denn die Paprika in Kroatien kostet nicht wirklich weniger als die in Kroatien. Die grundsätzlichen Lebenshaltungskosten in Kroatien sind keineswegs unheimlich niedrig – mit ein Grund, warum jeder Kroate, der kann, ein Eigenheim baut. Wer kann sich im Alter Miete leisten von um die 300 Euro?
Hinzu kommt in Kroatien: Das Lohnniveau lässt sich mit dem in Deutschland nicht vergleichen. Deshalb versuchen ja so viele junge Kroaten (aber auch ältere), in Deutschland einen Job zu bekommen.
Es gibt ein Rentendefizit, da hat gospodin Plenkovic (Herr Plenkovic) Recht. Es gibt aber auch ein Jobproblem – zu wenig, zu schlecht bezahlte Arbeit. Und es gibt ein Förderproblem. Viele Kroaten gehen wirklich fantasievoll an das Thema Arbeit heran. Haben hier einen Job, dort noch einen, am Wochenende einen dritten. Viele Kroaten vertrauen zu Recht auf die kleinste Gemeinschaft der Gesellschaft, die Familie – in Hrvatska hält man in der Hinsicht noch vergleichsweise stark zusammen. Eine 88-Jährige mit 300 Euro netto im Monat wird von allen Kindern und Kindeskindern mit versorgt.
(Kurz nebenbei: Eine deutsche 88-Jährige erhält im Schnitt 770 Euro staatliche Rente (Quelle: www.einfach-rente.de). Auch nicht üppig, wenn man das teure Leben in Deutschland betrachtet …)
Aber der Zusammenhalt, die Ideen der Kroaten werden nicht vom Staat belohnt. Das Renteneintrittsalter höher setzen ist so ziemlich die einfachste Maßnahme, die eine Regierung beim Thema Rente hat (die kroatische Regierung unter Plenkovic hat im übrigen die Diskussion nur NEU angefacht, das Höhersetzen soll nicht erst im Jahr 2038, sondern schon 2033 kommen).
Etwas mehr Fantasie täte den kroatischen Politikern gut. Oder, um es so zu sagen: Wenn Ideen mehr gefördert, Startups mehr geholfen, für Arbeit mehr und mehr bezahlt wird, dann verlassen nicht mehr so viele Kroaten das Land. Im Jahr 2016 gingen übrigens – Quelle: Kroatische Wirtschaftskammer (HGK) – 56.000 Kroaten fort. Und im selben Jahr hatten 170.000 Kroaten in Kroatien keinen Job.
Weitere Info:
https://www.dw.com/de/kroatiens-rentensystem-vor-dem-kollaps/a-5868029
(Foto: Pixabay)